Europäische Abgasgrenzwerte bis heute unerfüllbar – BDB: „Modernisierung der Schifffahrt durch Einsatz von Lkw-Motoren ist eine Krückenlösung!“

Die im September 2016 von der Europäischen Union beschlossenen neuen Abgasgrenzwerte für neu einzubauende Binnenschiffsmotoren sind bis heute unerfüllbar. Entgegen der Erwartungen der Bürokraten in Brüssel haben die in diesem Spezialmarkt tätigen Motorenhersteller bislang kein passendes Aggregat im Angebot, das investitionswillige Binnenschiffer zur Modernisierung ihrer Flotte einbauen könnten. Das wurde nun vom Bundesverkehrsministerium bestätigt.

Damit bewahrheiten sich die Befürchtungen und warnenden Hinweise der Branche, dass mit übertriebenem Umweltengagement und nicht realisierbaren Emissionsvorgaben die Bemühungen zur Modernisierung der Flotte regelrecht abgewürgt werden. Hiervor hat der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB) gemeinsam mit seinem europäischen Dachverband EBU schon vor fünf Jahren eindringlich gewarnt.

Die neuen Emissionsgrenzwerte der sog. NRMM-Verordnung treten für Motoren bis 300 KW Leistung bereits in zwei Monaten in Kraft. Weitaus interessanter ist aber die Frage, was nach Auslaufen der Übergangsfrist für größere Motoren, d.h. ab 300 KW Leistung, geschieht. Diese Motoren werden für den Hauptantrieb des Schiffes benötigt. Die zurzeit am Markt verfügbaren und zertifizierten Aggregate dürfen ab Ende nächsten Jahres ebenfalls regelmäßig nicht mehr eingebaut werden, denn selbst mit zusätzlich eingebauten Filtern und Katalysatoren werden sie die neuen europäischen Grenzwerte nicht einhalten.

Hochrangige Beamte in Brüssel verbreiten weiterhin hartnäckig die Zuversicht, dass von irgendwo her wohl schon noch NRMM-taugliche Motoren für Binnenschiffe kommen werden. Die Realität sieht jedoch anders aus: Zuletzt noch im September 2018 haben namhafte Hersteller von Binnenschiffsmotoren auf Deutschlands größter Binnenschifffahrtsmesse in Kalkar entweder abgewunken oder sind Fragen zur Verfügbarkeit ausgewichen.

Deshalb sollen nun Motoren, die gar nicht für den Einsatz im Schiff bestimmt sind, die Binnenschifffahrtsbranche in Europa retten. Die Rede ist von hochmodernen Lkw-Motoren (Euro VI) und anderen „nonroad“-Motoren, die für den Einsatz jenseits der Straße konzipiert sind (sog. Typ-Klasse NRE). Diese Aggregate sind an den Schiffsbetrieb anzupassen – der Fachmann nennt das „Marinisierung“ – und sollen dem Binnenschiffer die Neumotorisierung ermöglichen. Hierzu werden nun die technischen Bestimmungen in Europa überarbeitet. Mehr noch: Das Bundesverkehrsministerium arbeitet parallel an einer nationalen Prüfanleitung für den Einsatz alternativer Motoren in Binnenschiffen. Diese Motoren dürfen jedoch – ebenfalls dank europäischen Vorgaben – maximal eine Leistung von 560 KW haben.

Der BDB anerkennt das Bemühen, hier nun Alternativlösungen zu erarbeiten. Die vom Staat und vom Gewerbe gewollte Erneuerung der Flotte mit emissionsarmen Antrieben kann schließlich nur gelingen, wenn der Branche entsprechende Produkte zum Kauf angeboten werden. Trotzdem löst das Vorgehen keine ungeteilte Freude aus, wie BDB-Präsident Martin Staats (MSG, Würzburg) erläutert:

„Es ist beschämend, dass man das Fehlen geeigneter Binnenschiffsmotoren in Europa nicht zum Anlass nimmt, die NRMM-Verordnung den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Stattdessen bastelt man nun an einer suboptimalen Lösung, die teuer ist und deren Betriebssicherheit sich in der Praxis erst noch beweisen muss. Wir nennen das eine Krücken-Lösung. Der Verordnungsgeber in Brüssel muss aufwachen und die Vorschriften ändern. Wir erwarten, dass die deutsche Regierung sich hierfür bei der EU einsetzt. Man kann nicht die Erneuerung der Flotte predigen und dieses Ziel dann durch unsinnige Vorschriften sogleich zunichtemachen!“

Die Bedenken der Branche beziehen sich auf die Besonderheiten in der Binnenschifffahrt. Nicht ohne Grund gibt es seit Jahrzehnten speziell für den Einsatz auf Schiffen konzipierte Motoren, die an den harten Einsatz an Bord angepasst sind. Hierzu erklärt BDB-Präsident Martin Staats:

„Gerade die mittlerweile mit allerlei technischer Finesse ausgestatteten Euro-VI-Motoren beim Lkw sind hinsichtlich ihrer Leistung, ihrer vorgesehenen maximalen Betriebsstunden, ihrer dauerhaften Beanspruchung und ihrer möglichen Störanfälligkeit nicht für den Einsatz in Schiffen konzipiert. Binnenschiffe haben längere Fahrzeiten als Lkw und sind je nach Fahrtgebiet sogar im 24-Stunden-Betrieb. Dabei wird regelmäßig eine Motorleistung von 1.500 KW, manchmal sogar noch darüber, benötigt: Koppelverbände, die bis zu 10.000 Tonnen Ladung transportieren, oder große und schwere Tankschiffe oder Schubboote, die vier bis sechs Leichter bewegen, benötigen sehr viel Energie, um auf dem Fluss navigieren können. Die nun als Alternative genannten Motoren dürfen aber nur maximal 560 KW haben. Wie viele Motoren soll der Binnenschiffer denn da in seinen Maschinenraum stellen, um auf die erforderliche Motorenleistung zu kommen? In vielen Schiffen wird im Maschinenraum gar nicht der Platz sein, eine derartige Fülle von Motoren aufzubauen. Es drohen aufwendige und teure Umbauten in Millionenhöhe am Schiff, um die Kraft der Motoren auf den Propeller zu bringen. Für eine erhebliche Anzahl von Binnenschiffern in Europa wird der Einsatz dieser Motoren deshalb keine Alternative zum herkömmlichen Binnenschiffsmotor darstellen!“

Binnenschiffer sind auf robuste und praxiserprobte Motoren angewiesen, die für den Betrieb an Bord bestimmt sind. Teure, wartungsintensive und störanfällige Lösungen durch den Einsatz branchenfremder Motoren helfen der Gesamtheit der Binnenschifffahrt in Europa nicht. Die Forderungen des BDB sind daher eindeutig:

  1. Die europäischen Vorschriften der NRMM-Verordnung für Binnenschiffsmotoren der sog. Klassen „IWA“ und „IWP“ gehören angepasst oder zumindest für eine weitere bestimmte Übergangszeit ausgesetzt.
  2. Für Teilmärkte mag der Einsatz von LKW- oder NRE-Motoren eine Alternative sein. Der Einsatz von nicht für die Schifffahrt bestimmten Motoren muss jedoch gründlich geprüft werden und Haftungsfragen müssen geklärt sein, denn die Sicherheit des Schiffsverkehrs hat absolute Priorität: Bei rund einem Drittel der mit dem Schiff transportierten Güter handelt es sich Abfälle, Gase, Mineralöl- oder Chemieerzeugnisse – und somit um Gefahrgut.
  3. Ob Motorenhersteller und „Marinisierer“ eine einvernehmliche Regelung zur Haftung dieses umgebauten Motors erzielen und entsprechende Produkte am Markt anbieten, bleibt abzuwarten. Politik und Verwaltung dürfen die Frage der Verfügbarkeit von neuen Motoren für die Binnenschifffahrt nicht zu den Akten legen.

 

Über den BDB e.V.:

Der 1974 gegründete Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB) vertritt die gemeinsamen gewerblichen Interessen der Unternehmer in der Güter- sowie der Fahrgastschifffahrt gegenüber Politik, Verwaltung und sonstigen Institutionen. Mitglieder des BDB sind deshalb Partikuliere, Reedereien und Genossenschaften. Auch Fördermitglieder unterstützen die Arbeit des BDB. Der Verband mit Sitz in Duisburg und Repräsentanz in Berlin bezieht Stellung zu verkehrspolitischen Fragen und bringt sich aktiv in die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein. Seit der Fusion mit dem Arbeitgeberverband (AdB) im Jahr 2013 vertritt der BDB auch die Belange der Verbandsmitglieder in arbeits-, tarif- und sozialrechtlichen sowie personal-, sozial- und bildungspolitischen Angelegenheiten und ist Tarifvertragspartner der Gewerkschaft Verdi. Der BDB betreibt das in Duisburg vor Anker liegende Schulschiff „Rhein“ – eine europaweit einzigartige Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtung für das Binnenschifffahrtsgewerbe.