Binnenschifffahrt in Europa wird mit überzogenen Abgasgrenzwerten konfrontiert – Brüssel verspielt die Chance zur weiteren Steigerung der Umweltfreundlichkeit
Am 5. Juli 2016 hat das europäische Parlament der Neufestsetzung von deutlich strengeren Abgasgrenzwerten für „nicht für den Straßenverkehr bestimmte mobile Maschinen und Geräte“ (engl.: non road mobile machinery, NRMM) zugestimmt. Hierunter fallen nicht nur Rasenmäher, Bagger und ähnliche Geräte, sondern auch Binnenschiffsmotoren. Bei Neumotorisierungen mit Antrieben bis 300 Kilowatt Leistung müssen die neuen Grenzwerte ab 1. Januar 2019 eingehalten werden. Für Antriebe mit höherer Leistung treten die neuen Bestimmungen ab 1. Januar 2020 in Kraft.
Das Binnenschifffahrtsgewerbe zeigt sich massiv enttäuscht und verärgert über diesen Beschluss.
„Wir hatten in den vergangenen Monaten wiederholt dafür plädiert, dass die US-amerikanischen Abgasgrenzwerte (US EPA Tier 4) in Europa übernommen werden. Diese erfüllen annähernd die Euro-VI-Grenzwerte; sie bieten außerdem die Möglichkeit, auf einen deutlich größeren Kreis an Motorenherstellern, etwa aus dem Marinesektor, zuzugreifen“, erklärt Martin Staats, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB). Zwar habe man sich in Brüssel bei den gasförmigen Schadstoffen nun tatsächlich an den amerikanischen Bestimmungen orientiert, ausgerechnet bei den Partikelemissionen aber hiervon abweichend eine drastische Verschärfung vorgenommen.
„Motorenhersteller haben uns und die Politik wiederholt gewarnt, dass die heute in der Schifffahrt verwendeten Motoren diese neuen Grenzwerte nicht einhalten können. Bei lediglich 150 bis 200 Hauptantrieben, die europaweit pro Jahr verkauft werden, besteht seitens der Hersteller kaum eine Motivation, umfangreiche Investitionen in diese Motorentechnologien vorzunehmen. Ein weiteres Problem ist, dass es aufgrund der äußerst geringen Stückzahlen für Binnenschiffe keine standardisierten Partikelfiltersysteme gibt, die als Massenprodukt erworben und eingebaut werden können. Es fehlen zudem standardisierte Messverfahren zur Überprüfung der vorhandenen Emissionen“, erklärt BDB-Präsident Martin Staats.
Hinzu kommt, dass die baulichen Abmessungen an Bord von Binnenschiffen häufig gar keinen Platz für den Einbau von Filtern lassen. „Es ist ausgesprochen ärgerlich, dass dieser Umstand in Brüssel trotz wiederholter Hinweise einfach ignoriert wird und weltfremde Regularien beschlossen werden“, erklärt Martin Staats. Äußerst befremdlich sei, dass dieses Argument aber ausgerechnet bei den Lokomotiven zu einer Freistellung von den neuen Abgasgrenzwerten führt: „Maßgeschneiderte Lösungen würden die Kosten für eine neue Lokomotive deutlich in die Höhe treiben und Eisenbahnunternehmen davon abhalten, ihre Flotten zu erneuern. Um die Ökologisierung des Eisenbahnsektors in den betroffenen Mitgliedstaaten zu erleichtern und zu beschleunigen und den Einsatz der besten derzeit auf dem Markt verfügbaren Technik zu fördern, sollte für Lokomotiven eine Genehmigung für eine zeitweilige Ausnahme von bestimmten Anforderungen erteilt werden“, heißt es in der Drucksache des Europäischen Parlaments.
„Es ist beschämend und empörend, mit welch unterschiedlichem Maß Schiene und Schiff hier offensichtlich in Brüssel bewertet werden, obwohl die Probleme bei der Umsetzung der neuen Abgasgrenzwerte identisch sind“, so BDB-Präsident Martin Staats.
Staats‘ Fazit: „Überambitionierte Abgasgrenzwerte, die technisch nicht realisierbar sind, helfen der Umwelt nicht und schaden einer Branche, die bisher völlig zu Recht den Ruf als umweltverträglichster Verkehrsträger genießt. Anstatt der Binnenschifffahrt mit realistischen und erfüllbaren Umweltstandards einen möglichst zügigen Umstieg in besondere saubere Antriebstechnologien zu ermöglichen, wird in der klein- und mittelständisch strukturierten Branche nun möglicherweise das genaue Gegenteil erreicht: Neumotorisierungen werden vermieden, derzeit eingebaute Motoren werden so lange wie nur irgend möglich repariert und ‚in Fahrt‘ gehalten. Wir nennen das ‚Kubanisierung‘ in der Binnenschifffahrt. Fatal ist, dass nach unseren Informationen selbst LNG-angetriebene Schiffe die neuen Grenzwerte nicht werden einhalten können. Dieser Zukunftstechnologie wurde somit gleich mit das Wasser abgegraben.“
Über den BDB e.V.:
Der 1974 gegründete Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB) vertritt die gemeinsamen gewerblichen Interessen der Unternehmer in der Güter- sowie der Fahrgastschifffahrt gegenüber Politik, Verwaltung und sonstigen Institutionen. Mitglieder des BDB sind deshalb Partikuliere, Reedereien und Genossenschaften. Auch Fördermitglieder unterstützen die Arbeit des BDB. Der Verband mit Sitz in Duisburg und Repräsentanz in Berlin bezieht Stellung zu verkehrspolitischen Fragen und bringt sich aktiv in die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein. Seit der Fusion mit dem Arbeitgeberverband (AdB) im Jahr 2013 vertritt der BDB auch die Belange der Verbandsmitglieder in arbeits-, tarif- und sozialrechtlichen sowie personal-, sozial- und bildungspolitischen Angelegenheiten und ist Tarifvertragspartner der Gewerkschaft Verdi. Der BDB betreibt das in Duisburg vor Anker liegende Schulschiff „Rhein“ – eine europaweit einzigartige Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtung für das Binnenschifffahrtsgewerbe.